Fluor-Kautschuk

Fluor-Kautschuk ist der Oberbegriff für eine große Bandbreite an Polymerisaten, die sich durch sehr gute Temperatureigenschaften und ihre Beständigkeit gegenüber Ölen, Fetten, Mineralsäuren und zahlreichen Chemikalien auszeichnen. Darüber hinaus verfügen diese Elastomere noch über viele weitere nützliche Eigenschaften, dank derer sie sich je nach genauer Rezeptur für die verschiedensten Anwendungsbereiche eignen.

Gewonnen wird Fluor-Kautschuk durch Polymerisation von Vinylidenfluorid unter Beigabe fluorhaltiger Monomere. Dabei entstehen unterschiedlich aufgebaute Co-, Ter- oder Tetrapolymere mit Fluorgehalten von 65 bis 71 Prozent.

Die Vernetzung erfolgt mittels Bisphenol AF, Peroxiden oder Diaminen. Sehr gute mechanische Eigenschaften lassen sich durch ein mehrstündiges Tempern erzielen.

Zu den wichtigsten Einsatzgebieten dieser Kautschuk-Mischungen zählen der Automobilbau und die Luft- und Raumfahrtindustrie. Die in der RADO hergestellten Fluor-Kautschuk-Compounds werden unter anderem zu Schläuchen weiterverarbeitet, etwa zu Kraftstoff- sowie Turboladerschläuchen für die Automotive-Industrie. Fluor-Kautschuk eignet sich aber ebenso gut zur Herstellung von Dichtungen, Kabelisolierungen, Auskleidungen, Membranen und Schutzhandschuhen. Formteile aus FPM sind in jeder beliebigen Geometrie produzierbar.

Fluor-Kautschuk - eine lange, erfolgreiche Geschichte

Die Geschichte des Fluor-Kautschuks ist eng mit der Entwicklung der Luftfahrtindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg und den Anfängen des US-Weltraumprogramms verknüpft. Beide Sparten forderten von der Industrie äußerst strapazierfähige, aber dennoch ausreichend elastische Materialien, insbesondere für sichere Treibstoff- und Triebwerksabdichtungen, aber auch für Schläuche, die sich mit keinem bis dahin bekannten Werkstoff realisieren ließen.

Als Reaktion auf diese Hochleistungsanforderungen stellte die US-amerikanische Firma DuPont im Jahr 1957 den ersten Fluor-Kautschuk vor, der dank seiner Hitzebeständigkeit und der hohen chemischen Beständigkeit die Anforderungen der Entwicklungsingenieure vorerst erfüllte. Durch die Produktion Tetrafluorethylen-haltiger Terpolymere wurde bereits zwei Jahre später eine noch größere thermische Stabilität sowie Lösungsmittelbeständigkeit erzielt. Diese Kautschuk-Polymerisate bieten eine viel breitere Beständigkeit gegenüber diversen Flüssigkeiten als Standard-Fluorkautschuk und können sowohl starken Basen und Ketonen als auch aromatischen Kohlenwasserstoffen, Säuren, Ölen und Dampf standhalten.

Im Jahr 1975 entwickelte das japanische Unternehmen Asahi Glass Co., Ltd., eine neue Fluor-Kautschuk-Familie, die unter dem Handelsnamen AFLAS® vermarktet wird. Dieses basiert auf deinem alternierenden Copolymer aus Tetrafluorethylen (TFE) und Propylen  (P). AFLAS® zeichnet sich nicht nur durch eine hervorragende chemische Beständigkeit gegen strake Säuren, saure Öle und Laugen bei hohen Temperaturen aus, sondern besitzt ebenfalls eine ausgezeichntet Wasser/Dampfbeständigkeit. 

Ein weiteres fluoriertes Elastomer ist der sogenannte Perfluorkautschuk auch mit dem Kürzel FFKM benannt. Unter dem Handelsnamen Kalrez® wurde FFKM erstmals von der Firma Dupont vertrieben. Durch die Copolymere Tetrafluorethylen (TFE) und Perfluormethylvinylether (PMVE) entsteht ein Compound mit einem sehr hohen Fluoranteil. Die herausragende Eigenschaft eines solchen Compounds ist seine, je nach Mischung, extrem gute Temperaturbeständigkeit von -20°C bis +325°C.  Vulkanisiert wird FFKM über kleine Mengen „cross-linkable monomers“ (CSM).

Diese High-Tech-Elastomere eignen sich speziell für Anwendungen die in Kontakt mit sehr aggressiven Medien stehen, Der Einsatz findet besonders in Gebieten statt, in denen hohe Sicherheits- oder Reinheitsanforderungen bestehen oder mögliche hohe Störfallkosten den Einsatz rechtfertigen. Dies kann beispielsweise in der chemischen, der erdölfördernden und -verarbeitenden Industrie, dem Apparate- und Kraftwerksbau, der Halbleiter-, der Lebensmittelindustrie oder in der Luft- und Raumfahrt der Fall sein.

Fluor-Kautschuk-Kategorien: diese FPM-Typen gibt es

Derzeit gibt es fünf Fluor-Kautschuk-Typen, die sich durch unterschiedliche Charakteristika auszeichnen:

  • Typ 1: Di- oder Copolymere aus Hexafluorpropylen (HFP) und Vinylidenfluorid (VDF). Hierbei handelt es sich um die Standardtypen des FPM. Ihr Fluorgehalt liegt üblicherweise im Bereich von rund 66 Gewichtsprozent.
  • Typ 2: Terpolymere aus Tetrafluorethylen (TFE), HFP und VDF. Diese Elastomere weisen im Vergleich zum FPM-Typ 1 einen höheren Fluorgehalt auf (zwischen 68 und 70 Gewichtsprozent). Hieraus ergibt sich eine bessere chemische- und Wärmebeständigkeit, 
  • Typ 3: Terpolymere aus TFE, einem fluorierten Vinylether (FVE) und VDF. Im Vergleich zu den Fluor-Kautschuk-Typen 1 und 2 bieten diese Polymerisate eine bessere Flexibilität bei niedrigen Temperaturen. Ihr Fluorgehalt liegt bei 62 bis 68 Gewichtsprozent.
  • Typ 4: Terpolymere aus TFE, Propylen und VDF. Der Widerstand gegen Basen ist bei diesem FPM-Typ erhöht, während sich die Quelleigenschaften insbesondere in Kohlenwasserstoffen verschlechtern. Typisch für diese Elastomere ist ein Fluorgehalt von circa 67 Gewichtsprozent.
  • Typ 5: Pentapolymere aus TFE, HFP, Ethylen, einem FVE und VDF. Diese Polymerisate zeigen auch bei hohen Temperaturen noch Beständigkeit gegen Schwefelwasserstoff.

Allgemeine Eigenschaften von Fluor-Kautschuk

Fluorhaltige Polymerisate zeichnen sich insbesondere durch ihre Hochtemperaturstabilität und ihre hohe chemische Beständigkeit aus. Beides lässt sich durch die Sperrigkeit der Fluoratome erklären, die zur Abschirmung der Hauptkette führen und die Kohlenstoff-Fluor-Bindungen dieser Polymerisate vor Angriffen schützen. Darüber hinaus bewirkt die hohe Bindungsenergie der Kautschuk-Moleküle eine große Stabilität.

Mit 1,80 bis 1,87 g/cm³ hat FPM die höchste Dichte aller Kautschuk-Arten. Fast alle Typvarianten sind hochviskos, lassen wegen der physikalisch-chemischen Indifferenz kaum Weichmacher und im Interesse eines noch guten Handlings nur geringe Füllungsgrade mit inaktiven Füllstoffen zu.

Die wichtigsten Eigenschaften von Fluor-Kautschuk im Überblick:

  • hohe chemische Beständigkeit,
  • sehr gute Temperaturbeständigkeit,
  • ausgezeichnete Witterungs- und Altersbeständigkeit,
  • Beständigkeit gegenüber Mineralölen, Fetten und unpolaren Medien,
  • sehr gute Sauerstoffbeständigkeit und hohe Ozonstabilität,
  • gute Gasdichte,
  • elektrische Isolierfähigkeit,
  • Einsatztemperaturbereich: -40 bis +250°C.

Hitzebeständigkeit und thermische Stabilität von FPM

In der Regel kann FPM bei Temperaturen von bis zu 200 °C problemlos über längere Zeit eingesetzt werden. Auch höhere Temperaturen sind möglich, wodurch jedoch die Lebensdauer der jeweiligen Kautschuk-Teile, z. B. Dichtungen oder Schläuche, herabgesetzt wird.

Tieftemperatureigenschaften von Fluor-Kautschuk

Die Tieftemperatureigenschaften der Fluor-Elastomere werden im Allgemeinen durch zwei Faktoren bestimmt: der Größe des Fluor-Atoms und der substituenten Fluor-Kohlenstoff-Moleküle sowie den verschiedenen intermolekularen Kräften, die wegen der hohen Elektronegativität des Fluors ins Spiel kommen. Dynamische Dichtungsanwendungen mit FPM-basierten Produkten bleiben bei bis zu -40 °C funktionsfähig. Die statische Abdichtung ist bei einigen FPM-Arten bei bis zu -60 °C gegeben.

Vernetzungsmechanismen von Fluor-Kautschuk

Da die Polymerketten beim Fluor-Kautschuk gesättigt sind, kann dieser nicht mit Schwefel vernetzt werden. Es braucht daher andere Mechanismen, um Fluor-Polymerisate zu elastischen Netzwerken zu verbinden.

Diaminische Vernetzung

Die diaminische Vernetzung, bei der blockierte Diamine als Vernetzer für die Polymerisate dienen, ist das älteste Verfahren zur FPM-Vulkanisation. Das Vinylidenfluorid kann in basischer Umgebung Fluorwasserstoff abspalten, wodurch ein Platz für das Amin frei wird. Die dabei entstehende Flusssäure wird üblicherweise durch Magnesiumoxid aufgefangen, welches dadurch zu Magnesiumfluorid wird. Da sich mit diaminisch vernetzten Elastomeren eine gute Haftung zwischen Gummi und Metall erzielen lässt, findet diese Methode auch heute noch häufig Verwendung. Allerdings zeigt sich FPM mit diaminischer Vernetzung in wässrigen Medien anfällig für Hydrierung.

Bisphenolischer Mechanismus

Beim bisphenolischen Mechanismus, auch Dihydroxy-Mechanismus genannt, handelt es sich um einen nucleophilen Substitutions-Mechanismus. Als Vernetzerkomponenten für die Fluor-Polymerisate kommen Bisphenol AF und ein quaternäres Phosphoniumsalz zur Anwendung. Mit diesem moderneren Verfahren lässt sich eine bessere Beständigkeit der Elastomere gegen Hydrolyse sowie gegenüber höheren Temperaturen erzielen. Überdies ergibt sich eine Verbesserung beim Druckverformungsrest.

Peroxidische Vernetzung (Triazin-Verfahren)

Die peroxidische Vernetzung, die Vernetzung durch freie Radikale, ist besonders wichtig bei Kautschuk, der Perfluormethylvinylether (PMVE) enthält. Bei diesem könnten die beiden zuvor genannten Verfahren durch Angriff auf das PMVE eine Zerstörung der Polymerketten bewirken. Peroxidisch vernetzte Fluor-Elastomere sind in wässrigen und nichtwässrigen Elektrolyten anders vernetztem Fluor-Kautschuk überlegen. Hinsichtlich der Temperaturbeständigkeit liegen diese Polymerisate knapp hinter bisphenolisch vernetztem FPM.

Fluor-Kautschuk im Sektor Automotive

Zunehmend strengere Emissionsanforderungen bedingen unter anderem höhere Temperaturen im Bereich des Motors, während strengere Normen hinsichtlich der Permeation von Kraftstoffen immer aggressivere Treibstoffe und Treibstoffadditive mit sich bringen. Die sauerstoffreichen Kraftstoffe weisen eine höhere Flüchtigkeit auf, die zu einer vermehrten Quellung, einer Verschlechterung der Eigenschaften und einer erhöhten Durchdringung von elastomeren Materialien führen können, weshalb immer widerstandsfähigere Dichtungen und Schläuche benötigt werden.

Dank der folgenden Eigenschaften ist Fluor-Kautschuk das Material der Wahl für Kraftstoffdichtungen, Zylinderkopfdichtungen und Ansaugkrümmerdichtungen, Dichtungen für Kraftstoffeinspritzungen, Quick-Connect-O-Ringe, Dichtungsmassen und Komponenten für Kraftstoff-Schläuche und Turbolader-Schläuche:

  • Widerstandsfähigkeit gegenüber Kohlenwasserstoffen und sauren Kraftstoffen,
  • hohe Hitze- und Kältebeständigkeit (-40 bis 230 °C, bei intermittierender Aussetzung auch bis 285 °C),
  • Lösungsmittel-, Säure- und Laugenbeständigkeit,
  • geringe Permeationsraten,
  • sehr gute dynamische Eigenschaften,
  • niedriger Druckverformungsrest.

Fluor-Kautschuk in der Luft- und Raumfahrtindustrie

In der Luft und erst recht im Weltall ist absolute Dichtheit von essentieller Bedeutung. Heute basieren die Dichtungen, aber auch Schläuche und andere Teile in kommerziell und militärisch genutzten Flugzeugen in vielen Fällen auf Fluor-Kautschuk. Der nutzbare Temperaturbereich von O-Ringen aus FPM liegt zwischen -45 und +275 °C. Damit überstehen diese Bauteile problemlos die Auswirkungen der thermischen Zyklen beim schnellen Aufstieg in und Abstieg aus der Stratosphäre. Darüber hinaus bieten diese Kautschuk-Polymerisate eine gute Abriebfestigkeit sowie die Fähigkeit, Raumfahrzeuge gegen Hochvakuum zu versiegeln.

Dichtungen aus Fluor-Kautschuk finden sich beispielsweise in Turbinenmotoren, Hilfstriebwerken und hydraulischen Stellgliedern. Aus diesen Elastomeren werden aber auch Clips für Kabelbäume in Stahltriebwerken, Saug-Schläuche für heiße Motorenöle, Krümmerdichtungen und O-Ringe für Leitungsarmaturen, Anschlüsse, Pumpen und Ventile hergestellt.

Rolf Müller
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